Länderübergreifendes Projekt reagiert auf die negativen Ergebnisse der Pisa-Studie

Erstellt von Martina Burghardt || Berufsorientierung 

BILDUNG: Lesen muss man können

JÜTERBOG - Es ist Dienstagmorgen. In dem schrillgrün gestrichenen Flur ist niemand zu sehen. Dafür dringt aus einigen Klassenräumen unüberhörbarer Lärm. Sabine Raasch unterrichtet gerade eine siebte Klasse. Sie hebt die Stimme und bewahrt dennoch die Ruhe. Viele Alternativen hat sie nicht. Der „Besuch“, die Fachberaterin Ines Weghenkel, beeindruckt die Schüler der 7 d zunächst nicht sonderlich. Sie geben laute Kommentare ab, rufen sich etwas zu, als ob sie im Schwimmbad wären. Doch als Fragebögen verteilt werden, siegt die Neugier, es wird leiser. Tatsächlich herrscht jetzt einige Augenblicke Stille, die man Lernatmosphäre nennen möchte. Aber kaum sind die letzten Kreuze gemacht, gibt es wieder einen Riesenradau.

Auf dem Fragebogen, den auch die anderen Siebtklässler der Wiesenschule anonym ausfüllen, soll über Lernbedingungen Auskunft gegeben werden. Kein einziger Schüler setzt sein Kreuz da, wo es heißt: „Die meisten Stunden sind ruhig“.

Sabine Raasch ist ganz neu an der Schule. Die Lehrerin für Deutsch und Geschichte stammt aus Bayern, hat in Regensburg studiert und ist seit diesem Schuljahr in Jüterbog. Wie man mit schwierigen Schülern umgeht, hat sie in ihrem Studium nicht gelernt. Sie muss eigene Wege finden, sagt die 29-Jährige. Unterstützung gibt es kaum.

Ines Weghenkel ist nun wenigstens zeitweise an ihrer Seite. Die Fachberaterin für Deutsch im Kreis Teltow-Fläming arbeitet an dem länderübergreifenden Projekt von Brandenburg und Thüringen zur Förderung der Lesekompetenz an Ober- und Gesamtschulen „Lesen ist der Schlüssel“ mit. Brandenburgs Schüler haben sich nämlich in den Pisa-Tests seit dem Jahr 2000 verbessert, aber ein elfter Platz im Ländervergleich ist keineswegs ein Aushängeschild. Viel dramatischer ist jedoch, dass die Schüler komplexe Sachaufgaben, beispielsweise in Mathematik, nicht lösen konnten, weil sie sie nicht verstanden hatten. Die Auswertung ergab, dass 25 Prozent der Schüler selbst oberflächliches Verständnis fehlt, einfache Texte zu erfassen. „Wenn man in Betracht zieht, dass man ständig Texte verstehen und in einen Zusammenhang bringen muss, ist diese Zahl erschreckend“, so Ines Weghenkel.

Im Auftrag des Brandenburger Bildungsministeriums wurden deshalb erstmals auf wissenschaftlicher Basis Lesestrategien entwickelt, die nun von Fachberatern und Lesekoordinatoren an die Lehrer weitervermittelt werden. Ines Weghenkel gehört zu diesem Kreis der „Vermittler“. Sie verfügt über Erfahrungen aus 26 Jahren als Lehrerin für Deutsch und Englisch und hat nun in der Wiesenoberschule Jüterbog mit den Kollegen zu tun, die in den siebten und achten Klassen unterrichten. Aber damit sie überhaupt strategisch arbeiten können, muss die Lernatmosphäre stimmen.

Verhaltensauffällige Schüler haben meist schlechte Leistungen und „null Bock“, sie zu verbessern. „Unterforderte Schüler stören ebenso wie überforderte“, sagt Sabine Raasch. „Das ist auffälliger als in Bayern.“

Warum es gerade in den siebten Klassen so viele Verhaltensauffälligkeiten gibt, erklärt Birgit Ratzlaff, Fachkonferenzleiterin für Deutsch an der Wiesenschule, mit der Veränderung, die der Übergang von der Grund- zur Oberschule mit sich bringt. „Einer findet hier seine Basis, um gut zu lernen, ein anderer dreht völlig frei“, so ihre Erfahrung. Den Schulsozialarbeiter hält sie für unentbehrlich, gerade beim Umgang mit schwierigen Schülern.

Ines Weghenkel, die selbst im beruflichen Gymnasium am Oberstufenzentrum Luckenwalde unterrichtet, will den Lehrern praktische Hilfe vor Ort anbieten. Dabei wird sie auch die Schüler stärker in die Verantwortung nehmen und Schule transparent machen, um die Öffentlichkeit für die Zusammenarbeit zu gewinnen.
Quelle: MAZ, Jüterboger Echo vom 16.03.2011, Autorin: Martina Burghardt

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