JÜTERBOG - Wer ist bei Schüler-VZ?, fragt Christine Kernich. Etliche Finger schnellen in die Höhe. Jappy? Noch mehr Finger. Facebook? Finger, Finger, Finger.
Kernich sitzt vor 17 Achtklässlern der Jüterboger Wiesen-Oberschule. Das Ergebnis ihrer Mini-Umfrage überrascht sie kein bisschen. Sie ist Mitarbeiterin des Sozialtherapeutischen Instituts Berlin-Brandenburg, kurz: Stibb. Der Verein betreut unter anderem Kinder und Jugendliche, die sexuelle Gewalt erlebt haben, und versucht, dieser vorzubeugen. So auch an diesem Tag.
Dabei gehe es nicht mehr hauptsächlich um den prototypischen Pädophilen, der seine Opfer mit Schokolade ins Auto lockt, um sich an ihnen zu vergehen, so Kernich. Leider tummeln sich solche Leute immer öfter im Internet. Der Jim-Studie zufolge (Jugend in den Medien) sind fast 50 Prozent aller Kinder und Jugendlichen wenigstens schon mal übers Web angemacht worden.
Einige solcher Fälle kennt Kernich auch aus der Region. Wie zum Beispiel den eines jungen Mädchens, das dachte, seine erste große Liebe im Chat kennengelernt zu haben. Der vermeintlich 14-Jährige setzte das Mädchen so lange unter Druck, bis sie sich vor der Webcam im Bikini-zeigte nicht ahnend, dass ihr Gegenüber die Bilder aufzeichnete. Später erpresste er die Jugendliche dann mit den Aufnahmen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich jemandem anvertraute. So läuft es meist, sagt Christine Kernich. Nur acht Prozent der Kinder und Jugendlichen, die sexuelle Gewalt im Netz erleben, suchen sich Hilfe weil sie sich schämen oder schuldig fühlen.
Wer hat eine Kamera an seinem Computer?, fragt Christine Kernich die Achtklässler an der Wiesenschule. Finger, Finger, Finger. Und wer weiß, dass man die Webcam-Bilder speichern kann? Die Finger gehen runter. Manche Jugendliche wüssten schon ganz gut Bescheid. Andere seien dagegen erschreckend naiv, so die Expertin.
Erschreckend sei auch eine Strategie, derer sich manche Täter bedienen. Sie locken Kinder und Jugendliche, die sie zum Beispiel aus dem Sportverein kennen, regelrecht ins Internet. Warum? Wer sich auf Jappy anmeldet, muss mindestens 14 Jahre alt sein, ist also im juristischen Sinne kein Kind mehr, sondern Jugendlicher. Gleichzeitig ist einvernehmlicher sexueller Kontakt mit Jugendlichen nicht strafbar, so Kernich. Und sich mit falschen Angaben auf Jappy einzuloggen, sei wiederum ein Kinderspiel. Der Täter kann behaupten, von nichts gewusst zu haben. Das Opfer muss nachweisen, dass ihm Gewalt angetan wurde. Weil das schwierig ist, sind schon einige Verfahren gescheitert.
Den jungen Leuten das Internet zu verbieten, sei dennoch keine Lösung, findet Kernich. Der für sie wirksamste Schutz: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Auch für die Eltern, die oft noch naiver seien als die Kinder.
Quelle: MAZ, Jüterboger Echo v. 25.08.2011, Autorin: Angelika Pentsi