Die Linke hat sich in ihrer Programmdiskussion dem Thema Drogen gewidmet. Süchtige sollen nicht länger kriminalisiert werden, Legalisierung ist das Ziel. Wie dieses Signal bei denen ankommt, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, darüber sprachen Ralf Mund und Michael Lehmann mit Martina Burghardt.
MAZ: Der Vorschlag aus dem Parteiprogramm der Linken wurde noch während des Parteitages in den Medien diskutiert: Alle Drogen sollen legalisiert werden. Wie war Ihre erste Reaktion darauf?
Ralf Mund: Da kriegt man erstmal einen Schock. Aber wenn man hinter die spektakuläre Schlagzeile blickt, relativiert sich ja einiges. Soweit wir jetzt wissen, soll es nicht um die Legalisierung im Supermarkt gehen. So wie bei Alkohol, wenn der 14-Jährige einen Älteren vorschickt, dann sein Bier am Nachmittag trinken kann und die Öffentlichkeit nimmt das hin.
Michael Lehmann: Zunächst einmal, und da spreche ich für uns beide: Drogen sind grundsätzlich schädlich. Drogenkonsum darf nicht verharmlosend oder positiv dargestellt werden. Das ist uns ganz wichtig.
Haben Sie denn zurzeit Probleme mit Drogen an der Schule?
Mund: Im Moment haben wir weder mit verbotenen Drogen noch mit der legalen Droge Alkohol vordergründig zu tun, geschweige denn, dass an der Schule gedealt wird. In der Vergangenheit gab es Einzelfälle. Wobei ich nicht ausschließen will, dass Schüler etwas in ihrer Freizeit konsumieren. Zurzeit haben wir nicht so einen Fall, aber wir hatten vor Jahren einen Schüler, der von verbotenen Drogen abhängig war und dann das Problem der Beschaffung hatte. So entsteht Kriminalität.
Ihm wäre besser geholfen, wenn harte Drogen legal zu bekommen wären?
Mund: Wenn es in so einem Fall ein System gäbe, wo der Staat entsprechend seiner Fürsorge- und Aufsichtspflicht Abhängigen eine Möglichkeit aufzeigt, den Teufelskreis zu sprengen, dann wäre das im Sinne der Menschlichkeit nachdenkenswert. Denn bisher bekommt nicht jeder, der gestrauchelt ist und etwas in seinem Leben ändern will, die Möglichkeit dazu.
Lehmann: Man muss genau sehen, was damit gemeint ist. Übrigens, das Jugendschutzgesetz steht über allem. Ich glaube nicht, dass irgendeine Partei sagen würde, wir verkaufen jetzt Drogen an Kinder und Jugendliche. Ich bin auch Vater und möchte ganz bestimmt nicht, dass meine Kinder Drogen nehmen. Aber Fakt ist auch, man kann sie an jeder Ecke in Deutschland kaufen.
Mund: Ich weiß nicht, wo. Aber die Bedürftigen wissen es. Die Möglichkeiten sind da.
Aber was erwarten Sie von der Politik?
Lehmann: Als Sozialarbeiter würde ich mich freuen, wenn die Politiker das Geld in Prävention stecken. Der Kollateralschaden durch die Bekämpfung des Drogenkonsums ist beträchtlich. Daneben werden Millionen ins Strafrecht investiert. Prävention statt Prohibition wäre für mich ein Schlagwort oder Sozialarbeit statt Strafrecht. Das ist auf jeden Fall eine bessere Drogenpolitik, als Süchtige in die Kriminalität zu schicken. Aber die wichtigste Frage ist, warum die Menschen Drogen nehmen. Für mich ist auch unklar, warum Zigaretten und Alkohol legal sind. Bei Tabak ist zum Beispiel die Schädlichkeit wissenschaftlich erwiesen, bei THC (Tetrahydrocannabinol, Wirkstoff von Cannabis ? d. R.) hingegen nicht.
Mund: Den Nutzen hat die Industrie. Und der Staat.
Lehmann: Das ist die Doppelmoral. Der Staat verdient an Alkohol und Zigaretten sehr viel Geld. Wenn der Jugendliche mit 17 mit Gras erwischt wird, ist er ein Straftäter. Dabei gibt es schon jetzt in gewisser Weise Straffreiheit, weil die Politiker gemerkt haben, dass sie gar nicht so viele Knäste füllen können. Das kann gar keiner bezahlen. Es heißt, dass die Hälfte der Gefängnisinsassen wegen Drogendelikten sitzen.
Dann wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoller und preiswerter -, den Spieß umzudrehen und das Geld lieber in Prävention zu investieren?
Lehmann: Wie gesagt, für mich ist der Punkt eins, der Frage nachzugehen, warum die Menschen Drogen nehmen. In der Schule arbeiten wir daran, die Jugendlichen aufrecht ins Leben gehen zu lassen, sie mit möglichst viel Sozialkompetenz auszustatten. Umso eher können sie Nein sagen, wenn da einer steht und sagt, komm ich verkauf dir ein bisschen Liebe, ein bisschen Glück. Wenn die einen vernünftigen Abschluss haben, das ist wissenschaftlich erwiesen, ist der Suchtfaktor kleiner als bei denen, die mit weniger guten Voraussetzungen ausgestattet sind. Die Erfahrung zeigt, dass das Verbot und die Bestrafung nicht dazu geführt haben, dass weniger Drogen konsumiert werden. Man darf auch nicht vergessen, wie viel an der Illegalität verdient wird.
Mund: Die Frage ist ja, was genau mit Legalisierung gemeint ist, das muss man differenziert sehen. Für uns ist beispielsweise das Inseldasein besonders problematisch. In der Schule gilt etwas, das vor der Tür, auf der Straße oder zu Hause nicht mehr gilt. Der Heranwachsende ist desorientiert.
Was denken Sie, wie wirkt die Botschaft auf Jugendliche, vor allem wenn sie verkürzt unter dem Stichwort Drogenlegalisierung ankommt?
Mund: Die Signalwirkung dieser Schlagzeile ist erstmal erschreckend. Da ist der gebildete und reifere Bürger als Elternteil, als Lehrer, Politiker in der Pflicht zu hinterfragen, was wirklich gemeint ist, und das dann auch anderen zu erklären. Fakt ist: Nach der legalen Droge Alkohol fragt keiner. Der Missbrauch und die Folgen sind erheblich. Wir wissen aber auch, dass das Verbot von Alkohol nicht hilft.
Lehmann: Positiv daran wäre, wenn dadurch jetzt eine Diskussion angestoßen wird.
Quelle: MAZ, Jüterboger Echo v. 09.11.2011